Brotjobs & Literatur

Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt, Christoph Wenzel sind die Herausgeber:innen dieses – tja – gehaltvollen Buchs „Brotjobs & Literatur“. Tatsächlich bleibe ich gleich schon am Brot kleben. So geht es nicht nur mir. Einige der Menschen, die die Herausforderung akzeptiert haben, über etwas so scheinbar Beschämendes zu schreiben wie die Tatsache, dass man sich zwar als Autor:in sieht, aber nicht davon leben kann, reagieren ähnlich. Immer wieder kommen sie auf das Brot zurück: Sie „backen kleine Brötchen“ und hassen allesamt die ständig gestellte Frage „Kann man denn DAVON leben?!“

Ist das beschämend?

In Beiträgen wie Rezensionen taucht das Wort „beschämend“ immer wieder auf. Ich glaube aber, darum geht es gar nicht. Es ist was ganz anderes. Es ist das leise Plopp einer zerplatzenden Seifenblase. Dieser Seifenblase aus Hoffnung und immer schon völliger Fehleinschätzung. Sagen wir es mal ganz deutlich: Die meisten Autor:nnen werden grottenschlecht bezahlt. Müssen sie sich dafür schämen? Ganz sicher nicht. Schämen muss sich – hm, wer eigentlich? Das ist ein Punkt, an dem sich eigentlich sehr viele Menschen schämen müssten … So viele, dass ich kaum weiß, wo anfangen. Und wenn das so ist, steckt ja fast immer immer ein  „System“ dahinter. Das ist dann der eigentliche Übeltäter … Und wen kann man innerhalb eines „Systems“ verantwortlich machen?! Eben! So kommen wir nicht weiter.

Selbstachtung contra „Berufung“

Die ganze Diskussion ist alles andere als neu. Da ist ja schon eher erstaunlich, dass sich die Mär vom „freien“ Autor, von der „unabhängigen“ Autorin überhaupt so lang gehalten hat. Wichtig ist: Was in dem Buch, über das ich hier spreche, einander gegenüber gestellt wird, ist nicht „das Schreiben“ contra dessen Verdienstmöglichkeit. Es geht um Literatur versus Brotjob. Alle, die auch nur annähernd ähnliche „Karrieren“ kennen, werden sich kaum an der Aufzählungen all dieser Brotjobs aufhalten wollen: schlechtest bezahlte Minijobs allesamt. Und on top – Dominik Dombrowski bringt es auf den Punkt – „Hartz IV wurde nun mein Brotjob, einer der härtesten Berufe überhaupt!“

Nein, um Schmarotzertum geht es ganz sicher nicht. Alle Autor:innen kämpfen mit sich selbst, der Schreib- und der „normalen“ Arbeitswelt, deren Bedingungen und eben den Möglichkeiten, sich gleichzeitig die (berufliche) Selbstachtung zu erhalten UND der nicht endenden „Berufung“ zur Literatur nachgehen zu können. Alle sitzen zwischen mindestens zwei Stühlen. Es geht um soziale Herkunft und eine wenig strahlende Zukunft, um Chancen und Beschränkungen, um dieses seltsame Fördersystem aus einmaligen, absolut nicht nachhaltigen Auszeichnungen, deren (finanzielle) Wirkungen fast sofort wieder verpuffen. Um den langen Atem, den niemand haben kann, der von Minijob zu Minijob hetzt, mit Familie schon gleich dreimal nicht.

Dazu kommt: Viele der Menschen, die in dem Buch aus ihrem Alltag berichten, haben sich auch noch auf die heute brotlosteste aller brotlosen Künste eingelassen: Sie sind Lyriker:innen. So viele Menschen behaupten, Gedichte zu mögen, aber: Wann und wo wird dafür eigentlich nennenswert Geld bezahlt?!

Ja, wir sollten unbedingt darüber reden!

All das wird viel zu selten thematisiert, da hat der Klappentext unbedingt recht: „Autor:innen haben meist Brotjobs, sprechen aber selten darüber. Selbst sie gehen oft davon aus, dass bei preisgekrönten Kolleg:innen das literarische Schaffen die tragende Einnahmequelle ist. Wie unter teils prekären Bedingungen Literatur geschrieben wird, wie sich die Arbeitssituation auf Autor:innen und ihre Werke auswirkt, welche Wechselwirkungen von Brotberufen und literarischem Arbeiten es geben kann – davon erzählen hier die Texte von Philipp Böhm, Crauss, Dominik Dombrowski, Özlem Özgül Dündar, Dinçer Güçyeter, Johanna Hansen, Adrian Kasnitz, Ulrich Koch, Thorsten Krämer, Stan Lafleur, Isabelle Lehn, Swantje Lichtenstein, Daniela Seel, Sabine Schiffner, Sabine Scho, Janna Steenfatt, Michael Schweßinger, Karosh Taha und Juliane Ziese.“

Konkrete Zahlen bitte!

Ja, wir sollten darüber reden! Einen guten Anfang macht da auch meine Kollegin Anette Huesemann. Sie ist die Schreibtrainerin und hat bereits 2019  begonnen, die sehr explizite Frage zu stellen – und zu beantworten: „Was verdient man mit einem Buch?“ Das Thema hat sie kürzlich noch mal neu überarbeitet, um aktuelle Zahlen ergänzt. Das ändert nur leider nichts an der Misere.

Hier mal eben nur eine Zahl: einen Stundenlohn von 6 Euro brutto hat Huesemann an einer Stelle für Buchautor:innen berechnet. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass überhaupt erst mal ein Verlag das Buch ins Programm nimmt. Und dass es dann zu einem „Beinahe-Besteller mit 10.000 verkauften Exemplaren“ wird – das ist die Berechnungsgrundlage für diese 6 Euro. Davon sind die meisten Autor:innen von „Brotjobs & Literatur“ vermutlich weit entfernt … Doch so  konkrete Zahlen wie bei Huesmann tauchen dort ohnehin nicht auf. Und auch das könnte mit diesem „Schamgefühl“ zu tun haben.

Künstler:innen und Institutionen

Wichtig ist auch, dass Huesemanns Berechnung im genannten Beispiel von 1.200 Stunden Arbeitszeit ausgeht. Wie, wann und wo soll jemand das leisten, der oder die Briefe sortiert, Cocktails serviert, in Putzkolonnen, in Stahlwerken oder an Fließbändern in der Fahrzeugindustrie arbeitet – um nur mal ein paar der im Buch genannten Beispiele aufzugreifen? Nein, nicht alle, die in „Brotjobs und Literatur“ zu Wort kommen, sind Lyriker:innen. Es gibt auch Übersetzerinnen, sogar Professorinnen, Verleger, Schauspielerinnen, Kulturpädagogen, Gestalttherapeuten, Kulturwissenschaftlerinnen und vieles mehr – was oft auf den ersten Blick gar nicht so schlecht klingt, geht es doch um Jobs in „anerkennten“ Kulturinstitutionen. Und dann gibt es noch einen Bäcker. Auf den komme ich gleich noch mal zurück.

Oft ist kaum noch zu trennen: Wo beginnt der Brotjob und wo endet er? Mit Blick auf die Kulturinstitutionen, sagt beispielsweise Adrian Kasnitz sehr zugespitzt: „Natürlich geht es nicht ohne Institutionen, aber manchmal könnte man meinen, sie gehen eher zu Lasten der Künstler:innen. Und der Künstler? Ist dann dann der ausgestellte Exot. Darin liegt das Machtgefälle. Der Künstler ist der sich ausstellende Idiot (sagen böse Zungen).“

Warum redet niemand drüber?!

Das oben genannte Schamgefühl ist sehr real: „Als Schriftstellerin leben zu wollen, scheint ein unverschämter Wunsch zu sein. Ich fühle mich schamlos, wenn ich mich zu meinem Beruf äußere und erst einmal erklären muss, wie viel ich verdiene, um mich so nennen zu dürfen“ , schreibt beispielsweise Isabelle Lehn. Sie hat gelernt, diese Scham zu überwinden. Aus purer Notwendigkeit, denn auch eine Autorin muss mit Einkünften kalkulieren können, kalkulieren dürfen. Auf Lohntabellen dürfen Freie aller Couleur ohnehin nie spekulieren.

Eine weitere Erklärung für die Scham liefert Sabine Scho: Auch „wir zahlen Steuern und die alleinige Tatsache, dass wir tun, was uns Spaß macht, drückt uns unter jeden Mindestlohn.“

Dann gibt es ja auch noch die Künstlersozialkasse (KSK) – Adrian Kasnitz beispielsweise erwähnt sie, eher en passant. Sollte nicht die wenigstens Zahlen kennen, Zahlen nennen?! Ich ergänze mal das Beispiel von Kasnitz: Um als Autor:in in der KSK aufgenommen zu werden, muss eine Verdienstgrenze – allein aus den Verdiensten als Autor:in, versteht sich! – überschritten werden. Wer derzeit weniger als 3.900 Euro pro Jahr aus „künstlerischen Tätigkeiten“ verdient, wird gar nicht erst in der KSK aufgenommen, kommt also auch in keiner Statistik vor. 3.900 Euro pro Jahr, das klingt nicht unbedingt nach sehr viel Geld, ist es allerdings doch – eben genau dann, wenn es um Verdienste „neben“ dem Job als Staplerfahrer, Putzfrau oder Nachtportier geht.

Kleiner Exkurs: Ist das gerecht?

Wer will beurteilen, was monetär belohnt werden darf und was nicht? Schreiben-Wollen kann so viel mehr bedeuten, als nebenbei einem netten Hobby nachzugehen. Darauf macht Sabine Scho aufmerksam: Es gibt so viele, monetär erfolgreiche, oft industriell geführte Branchen, die ohne Text komplett aufgeschmissen wären! Von der Musik- und Spiele- bis zur Film-Industrie, Marketing und Werbung, Journalismus, Theater, TV und so weiter … Bitte selbst ergänzen! Diese Aufzählung stammt von mir, Scho gab dazu nur einen Anstupser. Und der stammt nicht mal von ihr, sondern ist fast exakt 100 Jahre alt! 1923 schrieb Robert Musil (in „Wie hilft man Dichtern?“): „Tausende von Existenzen bauen sich heute auf dem Dichter auf oder entwickeln sich in Symbiose mit ihm.“

Und wie viele, miserabel bezahlte Künstler:innen/Autor:innen halten noch heute die Arbeitsplätze anderer Menschen aufrecht! Etwa von Redakteuren und Lektorinnen, Buchhändlern und nicht zuletzt von Betreiber:innen der Buch-Online-Plattformen! Aber es gibt sie auch neben dem „eigentlichen Kunstbetrieb“: in Stiftungen, Fördereinrichtungen, kulturellen „Gremien“ verschiedenster Art. Oft in Festanstellung, zu einem kalkulierbaren Gehalt … All das wäre ohne professionell geschriebene Texte unmöglich, doch das Verdienst-Gefälle zwischen denen, die „nur“ schreiben und jenen, die daran verdienen (Marketing, Verkauf, Event-Organisation, aus „öffentlichen Töpfen“ geförderte Kultur …) ist oft riesig. Ist das gerecht?

Bitte nicht missverstehen: Ich gönne jedem aus den beschriebenen Branchen den (sicheren) Job und das Geld. Es ist wirklich gut, dass es sie alle gibt (stellenweise verdiene ich selbst mein Geld in diesen Bereichen …) ABER: Dass Autor:innen noch immer viel zu oft unter so viel schlechteren Bedingungen als in den genannten Jobs leben und arbeiten müssen – das ist noch immer nicht hinnehmbar! Und zwar seit über 100 Jahren nicht. Und es wird nicht besser. Etwa, wenn für ganz kleines Geld Online-Ghostwriting oder serielle SEO-Blogtexte angeboten werden.

Ja, ich weiß: Das Buch, von dem hier die Rede ist, zielt in eine völlig andere Richtung. Nämlich zu dem (unerfüllbaren) Traum vom „freien, literarischen Schreiben“. Aber neben der eher unrealistischen, schwer romantischen Grundhaltung eines solchen Traums sind es ja genau die genannten Rahmenbedingungen, die solche Träume unmöglich machen. Ob so ein Leben wirklich jemals „frei“ sein kann, steht dann noch mal auf einem ganz anderen Blatt …

Der Bäcker

Er könnte der Running-Gag dieses Buchs sein – wer schließlich kann den Begriff „Brotjob“ besser ausfüllen als er? Es ist aber alles andere als ein Scherz: Michael Schweßinger ist wirklich der klassische, freie Autor – der einige Bücher publiziert hat und ein recht gutes Netzwerk zu haben scheint. Und er IST gelernter Bäcker. Die beiden Jobs verbindet er zu dem, was ihm am wichtigsten ist: dazu, seine Unabhängigkeit aufrechtzuhalten. Als Bäcker reist er durch die Welt, wird als gelernte Fachkraft halbwegs akzeptabel bezahlt. Und er schreibt. Vor allem über die Erlebnisse auf seinen Reisen. Er kann sich abgrenzen. Und das ist ihm wichtig: „Nie habe ich freiere unfreie Menschen getroffen als in den Gefilden der Literatur. Da lobe ich mir die direkte Art der Kommunikation, wie sie mir aus dem Handwerk vertraut ist: Sag einfach an, was Sache ist! Es ist keine Schande, arm zu sein oder nebenbei zu arbeiten.“

Er ist mein Hoffnungsträger in diesem Buch. Er bezieht Position: „Es ist sicher eine Abwägung von Unfreiheiten, die jeder für sich selbst treffen muss, aber ich gab den partiellen Unfreiheiten der schaffenden Welt den Vorzug, weil ich kein Interesse an Kompromissen beim Schreiben hatte. Ich konnte ein Brot backen, das mir nicht behagte, aber ich konnte keine Story im Auftrag schreiben, mit der ich nicht d’accord ging.“

Pflichtlektüre!

Dass Schweßinger seine Lösung gefunden hat, freut mich. Dennoch finde ich es mehr als bedenklich, dass Autor:innen so eine Wahl überhaupt treffen müssen. Denn das müssen sie. Leider. Immer wieder. Und immer wieder neu. Genau das macht dieses Buch gnadenlos deutlich. Und darum ist es wichtig. Sehr wichtig sogar. Ich würde sagen: Pflichtlektüre für alle, die sich auch nur ansatzweise mit dem Gedanken tragen, als Autor:in leben zu wollen.

Cover von Brotjobs und Literatur, Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt, Christoph Wenzel, Brotjobs und Literatur, Geld verdienen mit Büchern, Geld verdienen mit Bücherschreiben, Bücherschreiben, Autorinnen, Autorin, Bezahlung von Autor:innen, Geld und Bücher, Buchmarkt und Geld,

Das Buch

Brotjobs & Literatur, herausgegeben von Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel. Broschur, 240 Seiten
Preis: 19,00 Euro, ISBN: 9783957324986, erschienen im Verbrecherverlag – und dort auch bestellbar.

Noch zwei persönliche Nachbemerkungen

Weil ich eigentlich immer schon um die Probleme eines Autor:innenlebens wusste, habe ich – für mich und meine Kund:innen – einen ganz anderen Ansatz entwickelt. Der geht von gesicherten finanziellen Verhältnissen aus – in einem ausdrücklich anderen Beruf als dem der Autor:in. Und bewegt sich sehr bewusst kilometerweit von jeder Sozialromantik des „freien Schriftstellerlebens“ fort. Mein Credo ist: Doch, Autor:innen können durchaus manches verdienen. Aber nicht unbedingt Geld.

Und: Ich bin unter anderem in dem fabelhaften Netzwerk von Frauen, die sich mit der – sehr weit gefassten – Arbeit an und mit Texten beschäftigen, dem texttreff, vertreten. Auch dort habe ich einen Beitrag verfasst, der unter anderem das genannte Buch im Blick hat. Denn das Thema ließ mich wirklich über mehrere Wochen kaum los …


 

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