Seit ich begonnen habe, an meiner Trilogie des Eigensinns zu arbeiten, träume ich davon, eine Definition des „erzählenden Sachbuchs“ zu schreiben. Denn da vermute ich noch immer das größte Eigensinns-Potenzial unter allen Buchgattungen. Nur: Mit einer Definition des erzählenden Sachbuchs – oder auch nur von „Sachbuch“ sieht es nicht sonderlich gut aus.

Definiere Sachbuch!

Wieso soll das so schwierig sein mit einer Definition von „Sachbuch“? Zum einen ist die Sachbuchforschung ein noch vergleichsweise junges Gebiet – vor rund 50 Jahren wurde erstmals der Vorschlag gemacht, nicht fiktionale Literatur zur eigenständigen Gattung zu erklären. Seitdem kommen fast täglich neue Fragen dazu, wie das denn funktionieren soll, wo die Grenzen verlaufen, welche Kriterien gelten sollen. Vielleicht ist es ja schon viel zu spät, um solche Fragen überhaupt noch beantworten zu können, vielleicht hat sich die Buchproduktion zu lange schlicht entlang der Leserbedürfnisse entwickelt … Ich weiß es nicht. Wie auch immer: Es will und will nicht gelingen, eine allgemeingültige Definition für ‚das Sachbuch‘ zu finden. Vom ‚erzählenden Sachbuch‘ ganz zu schweigen.

Einer, der sich schon lang mit dem Thema beschäftigt, ist Michael Schikowski. An der Universität Mainz hat er 2006 die Zeitschrift für Analysen und Forschungen zum Sachbuch und zu anderen nicht-fiktionalen Gattungen „Non Fiktion – das Arsenal der anderen Gattungen“ mitbegründet. Wichtigstes Ergebnis ist wohl: Alle Bücher, die nicht in das Genre der Fiktion gehören, sind „Non Fiktion.“ Noch nicht einmal, ob das deutsche „k“ in Fiction wirklich einen Unterschied zum englischen Original macht, wage ich zu entscheiden. Kurz: Definition von Sachbuch? Fehlanzeige. Das räumt Schikowski in seinem 2006 erschienenen Aufsatz „Hölderlins Hase“ unumwunden, wenn auch ziemlich sarkastisch ein: „Wie gut, dass es Bestsellerlisten gibt. Mit ihrer Hilfe kann jeder verfolgen, was als Roman und was als Sachbuch zu gelten hat. Denn in der Forschung liegt eine belastbare Definition für Sachbücher nicht vor. Das Sachbuch scheint angesichts der Fülle der Phänomene nicht definierbar, die wesentlichen Beobachtungen über das Sachbuch und seine Geschichte scheinen noch gar nicht getroffen zu sein.“

Sei Kollege David Oels kann immerhin eine Jahreszahl und eine Mini-Definition liefern. Seit 2007 gelte: Ein Sachbuch ist wissensorientiert und für den privaten Bereich gedacht. Damit grenze es sich immerhin schon mal vom wissenschaftlichen Fachbuch und praxisorientierten Ratgeber ab. Hat er dem Goethe-Institut 2012 in diesem Interview gesagt.

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Definiere „erzählendes Sachbuch“!

Bleiben wir bei der Mini-Definition: „wissensorientiert und für den privaten Bereich gedacht“. Welches Wissen? Und was bedeutet „privat“? Wissen beruht – zumindest nach meiner Auffassung – immer auch auf Erfahrung. Also muss alles Biografische dazu gehören. Zählt doch die Biografie seit jeher schon zum Bereich der Sachbücher. Und Erfahrungs-Wissen ist – neben der Fantasie – ein überaus wichtiger Rohstoff beim Schreiben von Büchern. Und was ist mein „privater Bereich“? Tja, das thematisch kann fast alles sein – kommt darauf an, wofür ich mich privat interessiere. Für mich klingt in dem Wort „privat“ aber auch an, dass es subjektiv, vielleicht sogar emotional sein darf.

Zielführender als diese Mini-Definition finde ich da schon, was der Rowohlt-Verlag tut. Der bietet mit „Hundert Augen eine Reihe an, in der das erzählende Sachbuch ausdrücklich erwähnt wird. Diese Definition lautet folgendermaßen: „Bücher, die Geschichten erzählen. Die zu Herzen gehen oder das Zwerchfell reizen, die den Blick schärfen oder alles zugleich. Bücher, die nicht auf Vorbilder schielen, die sich nicht um vorgefundene Definitionen von Literatur kümmern. Bücher, die sich zwischen die Stühle setzen. Bücher, die Horizonte überschreiten. Es sind im Buchhandel bekannte Namen, die unter dem neuen Signet Rowohlt Hundert Augen erscheinen, Heinz Strunk etwa, Max Annas, Jan Seghers oder Dirk Stermann. Namen, die versprechen, dass es nicht zu konventionell zugeht, wie Giulia Becker oder Stefanie Sargnagel. Und viele Autore*innennamen, die den deutschen Leserinnen und Lesern hier zum ersten Mal vorgestellt werden, aus dem deutschen Sprachraum und darüber hinaus. Da nicht alles erfunden sein muss, was erzählt werden kann, gehören zum Programm von Hundert Augen außerdem erzählende Sachbücher mit einer eigenen, literarischen Stimme.“

Was wollen Sachbuchleser:innen?

Noch einmal David Oels: Er erzählte im Interview mit dem Goethe-Institut auch von Ergebnissen aus der Leserforschung: „Sachbücher werden nicht grundsätzlich anders gelesen als Romane. Der Sachbuchleser ist nicht nur auf der Suche nach praktischem Wissen, sondern zieht aus der Lektüre von Biografien, Reiseberichten und historischen Sachbüchern Inspiration für Tagträume und Wünsche.“

Ganz offensichtlich dürfen – anders als beim „klassischen“ Sachbuch – beim erzählenden Sachbuch also auch Emotionen vorkommen. Das ist für mich eine gute Nachricht. Denn ich beobachte auf der anderen Seite häufig, wie Bücher, die das eindeutige Etikett „Roman“ tragen, auch viele nicht-fiktionale Elemente haben können. Das letzte Mal fiel mir das auf, als ich Identitti von Mithu Sanyal gelesen habe. In diesem ausdrücklich „Roman“ betitelten Buch kommen jede Menge Tweets vor, die ganz und gar real verfasst worden sind. Und dass Romane jede Menge biografische Elemente enthalten können, ist sowieso eine längst bekannte Tatsache …

Fazit

Nicht nur Romane können erzählen. Sachbücher können das auch, oft sogar konzentrierter, fokussierter. Nicht jedes Sachbuch ist strikt „sachbezogen“, wie etwa ein Ratgeber. Und zahlreiche Romane haben immer schon biografische Elemente enthalten. Weil die Biografie aber seit jeher in den Sachbuchbereich gehört, lässt sich mit Fug und Recht sagen: Die Grenzen zwischen Roman und erzählendem Sachbuch sind fließend. Es sei denn, das Sachbuch richtet sich an ein reines Fachpublikum. Oder ist ein klassischer Ratgeber. Aber dann wird der Verlag sie auch fairerweise genauso betiteln: Fachbuch oder Ratgeber. Dann wissen wir, woran wir sind. Bei allem anderen dürfen wir uns überraschen lassen. Ich finde das schön, denn meine „ideale Buchwelt“ (um nicht zu sagen: „Literatur“) erschafft sowieso eigene Welten. Und ist eigensinnig.


Text und Bilder: Maria Al-Mana


 

In eigener Sache

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In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch. Und trotzdem hat dieses Buch ganz klar im Untertitel stehen: „kein Schreibratgeber“. Damit möchte ich klarmachen: Mit dem „Gießkannenprinzip“ sollte hier nicht gerechnet werden!
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.


 

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