Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt, was der Unterschied zwischen einem Sachbuch und einem Ratgeber ist? Kann man natürlich aus dem „Bauch“ heraus und/oder nach verschiedenen inhaltlichen Kriterien bewerten. Aber aus Sicht der Beteiligten am Buchmarkt ist die Sache viel komplizierter … Stellenweise fast schon absurd. Ganz vorn in dieser seltsamen Geschichte steht da der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die meisten Menschen kennen ihn vor allem als Ausrichter der Buchmesse Frankfurt. Doch er ist viel mehr. Er ist der wichtigste Zusammenschluss für die Interessen fast aller, die mit dem deutschen Buch zu tun haben. Und er hat eine sehr lange Geschichte. Was die Sache nicht einfacher macht.
Im Börsenverein sind die drei wichtigsten Arbeitsbereiche des Buchmarkts vereint: die Verlage als Hersteller, der Zwischenbuchhandel als Großhändler und der sogenannte Sortimentsbuchhandel als verbreitender Buchhandel. Und sie alle legen unter anderem so etwas fest wie: Welche Warengruppen gibt es – und wie definieren wir die? Klingt abstrakt. Ist aber im Hinblick auf Buchgenres gerade für Selfpublisher immer wieder ein wichtiges Thema.
Also: Was ist ein Ratgeber, was ein Sachbuch? Da gibt es klare Regeln – und die sind spätestens seit 2007 für Ratgeber glasklar festgeschrieben: Ein Ratgeber sei ein Buch, das „Handlungs- und Nutzerorientierung für den privaten Bereich“ biete, legt seitdem die Definition der neuen „Hauptwarengruppe Ratgeber“ für den Buchhandel fest. Ein Sachbuch sei dagegen „wissensorientiert mit primär privatem Nutzwert.“ Ich finde diese Unterscheidung schon recht seltsam: Kann ich handeln ohne Wissen? Und: Wenn ich etwas weiß, werde ich doch hoffentlich auch mal danach handeln (wollen) – oder? Aber darüber haben sich die groß besetzten Gremien der verschiedenen Fachausschüsse des Börsenvereins Deutscher Buchhandel offensichtlich weniger Gedanken gemacht … Trotzdem brauchten sie fast drei Jahre, bis die neue Warengruppe definiert und zur Anwendung bereit war.
Inhalt
In Buch-Bestenlisten: Ratgeber oder Sachbuch?
Warum dieser Aufwand? Es geht um Verkaufszahlen, Bestsellerlisten und Marketing. Das wurde in der Definition der „Warengruppe Ratgeber“ auch sehr offen ausgesprochen: Es gehe vor allem um die Marketing-Aspekte für Ratgeber-Literatur, steht da ganz deutlich. Zum einen wollten die Ratgeber-Verlage bei diesen Verhandlungen nachweisen, dass ihre Selbsteinschätzung stimmt: Sie hätten aus wirtschaftlicher Sicht eine viel größere Bedeutung für den Markt als Sachbücher, so ihre These. Und die galt es zu beweisen – darum mussten die Ratgeber vom Sachbuch strikt getrennt werden. Das war das Ziel der Verlage, die Ratgeber publizieren. Und das wurde dann auch erreicht.
Zum anderen ging es um die beliebten und einflussreichen Spiegel-Bestsellerlisten. Die haben ihrerseits sehr klare Regeln: „Es muss sich bei den Inhalten der Bücher um eigenschöpferische Leistungen handeln. Nachschlagewerke und andere Zusammenstellungen, Ratgeber, Sonderausgaben sowie Taschenbücher bleiben ausgenommen.“ Ein klassischer Ratgeber ist zum Beispiel ein Gartenbuch. Und da soll keine „eigenschöpferische Leistung“ zu finden sein?! Auch seltsam, finde ich. So gesehen, ist jedenfalls verständlich, dass Ratgeber-Verlage sich mehr Sichtbarkeit, eine bessere Positionierung gewünscht haben. Denn all die anderen Bestseller-Listen – die Ratgeber durchaus zulassen, wie etwa der Focus – kamen einfach nie an die Popularität der Spiegel-Listen heran. Seit amazon hat sich das alles wieder stark geändert. Und seit es Youtube gibt, bekommen Ratgeber – als Video – auch einen ganz anderen Stellenwert … So sehr, dass nicht wenige Ratgeber zeitgleich mit Buch-Erscheinungstermin auch einen Youtube-Kanal starten. Das wertet Ratgeber unter Umständen sehr auf. Und ist bei anderen Buchgernres nicht ganz so leicht.
Hilfe, mein Sachbuch hat einen Doppelgänger!
Doch der Witz ist: Da wurde mühsam eine Regel formuliert, die Ratgeberliteratur von Sachbüchern trennen soll. Und in Nullkommanichts hatten alle Buchtitel auf Top-Plätzen der Bestellerlisten sozusagen Doppelgänger: Verlage sortierten sie in zwei Warengruppen ein, auf der Focus-Liste wurden sie zu Bestsellern als Ratgeber und auf der Spiegel-Bestsellerliste als Sachbuch. Beispiele: „The Secret“ von Rhonda Byrne, „In der Mitte des Lebens“ von Margot Käßmann, „Leben oder gelebt werden“ von Walter Kohl, „Die Abschaffung der Kindheit“ von Michael Winterhoff.
(Alle Fakten bis hierher beruhen auf den Recherchen von Tamara Weise, die 2012 für den Sammelband „Non fiction – Arsenal der anderen Gattungen. Ratgeber“ den Beitrag „Erfolg macht erfolgreich“ schrieb.)
So etwas hinterlässt einen faden Beigeschmack … Da sollen einerseits neue Standards gelten, um einem bisher vernachlässigten Buchgenre besser gerecht zu werden. Anderseits setzen diejenigen, die diese Standards mit erarbeitet und formuliert haben, sie gleich wieder außer Kraft – und damit die „Regel“ selbst.
Und wie sieht es online aus?
„Klassische Buchmenschen“ werden es nicht gern hören, aber amazon macht da alles richtig: Selfpublisher müssen sich nicht entscheiden: Ratgeber oder Sachbuch – und vielleicht auch noch Roman oder Autobiografie? Kein Problem, ich darf mein Buch in mehrere Kategorien einordnen. Warum geht über die Online-Portale so viel leichter, was im behäbigen Druckbuch-Markt offenbar gar nicht funktioniert? Eigentlich ist der Hauptgrund die Verweigerung des Online-Markts durch so viele Buchhändler/innen: Die wären nämlich die einzigen, die zu Recht gegen das Mehrfach-Genre ein und desselben Buchs protestieren könnten. Aus dem einfachen Grund, weil sie dann nicht wissen: In welches Regal sortiere ich das Buch jetzt ein? Online spielt das keine Rolle.Und genau davon profitieren Selfpublisher.
Selfpublisher haben es besser!
In Online–Buchshops, und zwar in allen, nicht nur bei amazon, setzt sich jede Regel der Genre-Zuordnung ständig selbst außer Kraft. Denn für Selfpublisher gilt natürlich: Je häufiger mein Buch gefunden wird, desto besser kann es „ranken“. Also: So viele „Warengruppen“ wie möglich. Schlau ist auch, sich eher „dünn besiedelte“ Genres zu suchen, als sehr umkämpfte Marktbereiche. Als Selfpublisher haben wir das alles mehr oder weniger selbst in der Hand – je nach den vorgegebenen Genres des jeweiligen Online-Buchshops. Und müssen uns außerdem nicht so seltsame Fragen beantworten wie: eher wissens- oder eher handlungsorientiert?
Aus meiner Sicht: mal wieder ein Pluspunkt auf meiner Liste Pro und Contra Selfpublishing.
In eigener Sache
Die Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.